9 Hügel

 

 

Neun minus vier gleich fünf.

Thomas berichtet.

200 km, 4000 hm, geht eigentlich. Einigemale gefahren, wenn als Rennen oder Marathon, dann keineswegs auf vorderen Rängen, aber mit gutem Ergebnis.
Doch wir fahren Nove Colli. Marathon in der Emilia Romagna.
Das sind, genauer betrachtet, eigentlich mehrere Veranstaltungen, zur gleichen Zeit, auf gleicher Strecke: die Glattrasierten mit (oder ohne) Ambitionen, Jedermänner und Jederfrauen verschiedenster Coleur, Hobbyfahrer. Viele mit Mountainbikes.
205 km in 12:00 h oder, auch noch während der Fahrt wählbar, 130 km in 7:30 h.

Emilia Romagna. Hügel ohne Ende. Vom Meer auf die Hügel, von 0 auf 4/600 m, und wieder runter, dazwischen: Nadelstiche, 12/14/16 %, manchmal nur ein paar hundert Meter, aber die Beine werden sauer. Rampen satt.

Gabicce Mare, unser Standort, 40 km vom Startplatz in Cesenatico. Die gleiche Geografie.
Erster Tag auf dem Rad. Wir erfahren, die graphische Darstellung des Profils auf der website von Nove Colli zeigt eine idealisierte Form, die Realität ist komplexer. Tag 1, wir stellen fest: 90 km ins Hinterland sind um die 1500 hm, dafür muß man im Hamburger Umland schon mal 300 km fahren.

Moni fängt an zu grübeln; dieses Jahr kaum Fahrpraxis, dank Klimawandel und Abneigung gegenüber Trainingslagern in südeuropäischen Hotelhöllen…
Tag 2 überzeugt auch nicht. Ich versuche, zu trösten: Tag 3 und 4 werden es schon bringen. Hhmm.
Tag 4 fällt wegen Regen aus. Das Wasser steht in den Schlaglöchern. Tag 5, wieder trocken, die Laune steigt, letzte Zweifel sind aber nicht weggeblasen.
Ich beschließe, den nächsten Tag (vor dem Rennen – Moni pausiert schlauerweise), versuchsweise eine etwas schärfer gefahrene 100er-Runde zu absolvieren. Um eine Einschätzung meiner Chancen für Nove Collie zu gewinnen. Ein 23er Schnitt lässt mich hoffen. Abends beim Radcheck die Idee, die 200er-Runde in 11 h fahren zu können. Mit nur kurzen Pausen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Cesenatico, Sonntag 06:45

Unser Startblock, der letzte vor den Hobbyfahrern, mit 3000 Startern, setzt sich sehr diszipliniert in Bewegung, die ersten Kilometer neutralisiert. Wir passieren die Startlinie, der Himmel färbt sich passenderweise pechschwarz, es fängt an zu pieseln, jetzt doch Unruhe im Feld, diverse Regenjacken werden angezogen. Ich sehe zu, dass ich in eine ruhige Gruppe komme, die mich nach vorne bringt. Das klappt gut, bei bis zu 46 km/h, solange ich mich aus der Führung raushalte, ein zweites Frühstück ist da aber nicht drin. Das ergibt sich beim Reinfahren in den ersten Berg, auch ein guter Reifen kann die fette Krampe, die sich mein Hinterrad hier aussuchte, nicht aufhalten, mit Not komme ich aus dem Pulk (oder eher schon Stau) am Berg an den Straßenrand. Schlauch und Brötchen rein, Krampe raus, weiter. Der Regen ist gnädigerweise vorbei.
Berg 2+3 sind machbar, hinterher fehlt mir aber fast jegliche Erinnerung, ich fahre immerhin viele Fahrer wieder auf, wunderschöne Abfahrten, jetzt kommt endlich auch die Sonne. Was wie Weserbergland bei regnerischer Westlage aussah, wird wieder zur Emilia Romana.

Danach 20 Minuten Pause in einem schönen Ort, stopover im Café, entsalzen, Espresso doppio, Cola, Dolce, klaren Blick wieder herstellen, und schon geht es dann auch wieder bergauf wie in der Emilia.
Der Feind heißt jetzt Barbotto und alle haben hier mächtig Respekt vor ihm. Hier wir außerdem auch noch ein Bergzeitfahren abgenommen. 7% im Schnitt auf nicht mal 6km klingt harmlos, aber der letzte km hat 18%, vorher hat man ca 1800 hm unter Rennbedingungen hinter sich….ich brauche 35 min, der schnellste 14. Er hatte einen Schnitt von knapp 19 km/h!

Viva la differencia!

 

 

 

Ich denke an Moni, sie wird mich im Ziel in Einzelteile zerlegen, zu Recht, sehe ich jetzt ein, ich habe sie hier hergelockt, angemeldet, eigentlich war ihr das von Anfang an zu heavy. Aber sie hat auch nicht nein gesagt….

Endlich oben, denke ich, jetzt geht´s nur noch runter.
Falsch, nach einem Stück welligen Hochplateaus folgt noch eine Rampe, der 5. Berg, ich habe mich verzählt, und verzockt, die Raserei am Anfang, der Vortag, was immer, machen sich endgültig bemerkbar.
20 km vor der Streckenteilung zeigt der Computer deutlich:
zu langsam, zuviel Auszeit, keine Körner mehr, und jetzt kommen auf 40 km noch 4 Colli, davon zwei harte….
Bei einem Puls von durchschnittlich 145 und Gummibeinen setzt sich Vernunft durch, so sieht das auch der Veranstalter, bei km 105 werde ich automatisch auf die 130er-Strecke gewunken, Kontrollschluß für die Marathonies.
so what!

Eine schnelle Kalkulation: ich brauche auch so mindestens 7 Stunden für die kleine Runde.
Jetzt die letzten 25 km nur noch runter. Runter in der Emiglia: jetzt bläst eine Wind mit 5 Bft. Wind hier kommt aber immer von vorn, offenbar ehernes Radfahrer-Gesetz…
Ultraschnelle aus der Langstrecke, die jetzt von hinten aufkommen, helfen für 3 oder 4 km, die nächste, wenn auch kurze Rampe weist mich auf meinen Platz als natural born looser… aber dafür habe ich noch Haare an den Beinen. Mittlerweile wird die Verpflegung abgebaut, jetzt noch ne Cola wäre super.
Und: ganze Gruppettos sitzen in den Cafés und conossieren, ihnen ist jede Zeit recht, und mich treibt immer noch die Uhr. Wenn ich an Moni denke, leide ich.

Komplett daneben.
Flamme Rouge. Vor mir fährt eine Frau, die ich schon öfters gesehen habe. Figur, Trikot, Windweste, der konstante schwere Tritt, Kette rechts, oft gesehen. Ich also in den Wiegetritt, ein Blick im Vorbeifahren, sie ist es.
Hola, Mo, que tal?
Deja me, ich bin sowas von durch…
…und wie kommst du dann jetzt hierher?
Schweigen.
Wir fahren gemeinsam durch den Zielbogen, Medaillen werden drapiert, Blumen für Le Donne, leider werde ich aber nicht abgebusselt von den Dorfschönen, das macht dann aber meine Donna, und richtig sprechen können wir sowieso erst nach langen atemlosen Minuten.
Wir sind beide im Adrenalinrausch… die Italianos und deren zahlreiche Attachments offenbar auch, der Lärm auf der Pasta-Party ist grandios, für uns aber auf Dauer zu heftig. Wir feiern dann lieber in der Hafenmeile von Cesenatico ab, anderen ging´s offenbar genauso, so beenden wir beim Warten auf unseren Shuttle zum Hotel den harten Tag in einer netten Sportsbar mit netten Leuten am Stadion von Cesenatico.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ps. Moni hat mich offenbar auf meiner Café-Pause überholt, und ist stark gefahren. ich schneller, sie konstanter, im Effekt: gemeinsam durchs Ziel.
Was wollen wir mehr….

pps. Marco lebt!
Das erzählt man hier an jeder Ecke, an Mauern Graffitos, Poster in den Bars, wir haben uns gefragt, guckt er aus dem Rennfahrerhimmel oder der Kokserhölle?

ppps. ist dem Italiener offenbar egal.

…und: auf den letzten 30 km sehen wir Ultramarathonläufer, sie sind am Vortag mittags gestartet, auf der gleichen Strecke wie wir, durch die Nacht, Regen, Hitze, der erste von ca 150 Startern kommt nach 27 Stunden ins Ziel. Chapeau!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Monika berichtet.

Eine Woche in der Romagna: eine Woche reiner, unverfälschter Angst, nur unterbrochen von Panikattacken, dann ist es soweit. Aufstellung ab 6 Uhr, Start kurz vor 7 Uhr; 7,5 Stunden Zeit für 135 km und 2135 Höhenmeter. Vorweg: ich habe es geschafft und hatte am Ziel immerhin noch 20 Minuten Luft. Die ersten 25 km flach, dann geht es zur Sache. Wunderschöne Landschaft, leider nicht ohne 18 % Rampen (der fünfte collo, Barbotto, aber auch vorher schon einmal 6 km Anstieg mit 7 % Durchschnitt + max. 15 % + davor die Berge auch mit gruseligen Rampen, die hierzulande aber keiner Erwähnung wert sind, weil nur 12 % oder 18% aber nur auf 30 m), viele mecanico Stellen: Note 1,0; 1,0; 1,0 + genauso viele Wasserstellen, die Bestückung der Verpflegungsstellen hingegen eher dürftig (also Bananen + Stullen ins Trikot), vor dem Killeranstieg zum Barbotto gab es dann aber das volle Programm: Penne arrabiata, Grillgut, Rotwein + Bier (Faxe)! !!! Hab ich aber alles wegen der drohenden 18 %-Steigung nicht probiert. Wer glaubt, der Hohe Hagen sei schlimm, fahre den Barbotto (wenn die Beinchen schon 4 Berge intus haben)! Die Worte „Qual“ und „Schmerz“ haben für mich seit Sonntag eine völlig neue Bedeutung. Übrigens: im Ziel gibt es das übliche Blech (das bei mir zu Hause einen Ehrenplatz bekommt) und für die Damen ein kleines Blumengesteck. Sehr charmant!